Lützerath – Ein Erlebnisbericht

Tage in Lützerath

4 ½ Tage waren wir im Unser Aller Camp (UAC) in Keyenberg, einem der 5 geretteten Dörfer am Tagebau Garzweiler, wenige Kilometer entfernt von Lützerath.

Wir wollten in diesen Tagen vor Ort sein, aktiv werden, unsere Stimmen erheben gegen eine völlig fehlgeleitete Klimapolitik in Deutschland und Solidarität mit denen zeigen, die sich seit Jahren ein Leben in Lützi aufgebaut haben und dort einen alternativen und nachhaltigen Lebensstil ausprobieren wollten.

Menschen die sich für den Erhalt unser aller Lebensgrundlagen einsetzen und dort minimalistisch und im Einklang mit sich und unserem Planeten leben.

Selten haben uns Tage so verändert und traumatisiert, so euphorisiert und glücklich gemacht, aber auch so unfassbar wütend und enttäuscht.

Das Leben im UAC ist geprägt von einem friedlichen Miteinander und einer emsigen Geschäftigkeit wie in einem Ameisenhaufen. Viele laufen vermummt, mit Glitzer bemalt, mit geschwärzten Gesichtern herum. Die meisten einfach nur Wind, Regen, Sturm und Kälte trotzend mit warmen Kapuzen und Mützen. Aber was alle gemeinsam haben, ist die Vision von einer besseren Welt. Einer sozialen und klimagerechten Welt, in der es genug für alle gibt und sich die Grenzen zwischen Arm und Reich auflösen.

Kaum jemand spricht sich mit seinem wirklichen Namen an, man ist, wer man sein will, oder einfach nur Mensch.

Mensch ist auch das Wort was einen in allen Aufrufen um Aufgaben zu verteilen oder sich von Aktionen zu erzählen das meist genutzte ist, ein Wort was eigentlich alles sagt, weil wir alle doch genau das sind – Menschen. An diesem Ort viel mehr als anderswo. Wir sind ein bunt zusammen gewürfelter Haufen Menschen unterschiedlichster Kulturen, Nationalitäten, Geschlechter und es spielt einfach keine Rolle, weil nichts davon für ein gutes Zusammenleben entscheidend wäre.

Es gibt trotz unwirtlichster Verhältnisse für (fast) alles eine Lösung und auch wenn die Zelte in Massen unter Wasser standen, das Camp zwischenzeitlich fast aus allen Nähten platzte und man dauerhaft knöcheltief im Schlamm versank – die Stimmung war oft ausgelassen, fröhlich und fair. Egal, ob man stundenlang Geschirr gespült hat, mit eiskalten Fingern Essen an dankbare Menschen verteilt hat, hunderte Kilos Zwiebeln geschält werden wollten oder die Toiletten gereinigt werden mussten.

Niemand hat sich beschwert, gedrängelt oder sich wichtiger genommen als seine Mitmenschen.

Menschen die aus Lützi kamen wurden, wie Helden gefeiert und sofort mit allem Nötigen versorgt und selbstverständlich haben Menschen die durchgefroren und erschöpft „aus Aktion“ kamen ihre Pizza auf der Stelle erhalten und mussten nicht drei Stunden dafür anstehen.

Zudem wurden alle Menschen die physisch und/oder psychisch belastet aus Aktionen zurück ins Camp kamen aufgefangen. Entweder durch ihre Bezugsgruppen, von Freunden, Psychologen oder konnten Zuflucht im Awarenesszelt suchen. Auch waren immer Sanitäter*innen vor Ort um eine 24 Stunden Betreuung zu gewährleisten.

Ein Ort an dem man sämtliches Zeitgefühl verliert und sich einfach mal im menschlich sein treiben lässt…

Parallel dazu waren wir aber eben auch jeden Tag außerhalb des Camps unterwegs, um gegen den geplanten Kohleabbau zu demonstrieren. Und kaum ,dass man das Camp verlassen hatte, war man in einer ganz anderen Realität unterwegs.

Ein „gerettetes“ Dorf, in dem nahezu niemand mehr lebt, die Häuser verrammelt, die Gärten verwildert und eine gespenstische Ruhe über all dem. Vereinzelt brannte abends mal ein Licht ,ansonsten gab es nur uns Aktivisti und jede Menge Polizei.

Weltuntergangsstimmung hätte aufkommen können, während der Regen in heftigen Böen durch die verlassenen Straßen pfiff, wären da nicht immer auch Lachen und Gesang, Gespräche und in sich vergnügte Gruppen unterwegs gewesen.

Auch hier war es der gemeinsame Wunsch nach Veränderung, der die Stimmung trug und einem trotz Kälte ein Gefühl von Wärme vermittelte.

Ganz anders dann die vielen, gefühlt endlosen Stunden, die wir gemeinsam mit vielen, vielen anderen Menschen auf der L12 zwischen Keyenberg und Holzkirchen verbrachten. Eine trostlose Straße,n die zwischen Ackerfläche dahin führt und auf der sich jeden Tag Demozüge, Spaziergänge und eine unfassbare Menge an Polizei zusammen fanden.

Auch wir waren in diesen Tagen bereit zivilen Ungehorsam zu begehen, da wir mittlerweile der festen Überzeugung sind, dass wir diesen brauchen um die notwendigen Veränderungen für einen ehrlichen Klimaschutz herbei zu führen. Wir sprechen uns aber ganz klar gegen jedwede körperliche Gewalt aus!

Was wir in den Tagen vor der Großdemo am 14.1. aber vor Ort gesehen und mit erlebt haben, hat uns nachhaltig wirklich schockiert und uns sehr zugesetzt. Friedliche Sitzblockaden wurden über sechs Stunden von der Polizei im Kessel gehalten, Spaziergänger auf der Straße gekesselt ohne Angaben von Gründen und einzelne Aktivisti, die versucht haben, über die Ackerfläche an der Polizei vorbei zu kommen, wurden mit einer immensen Übermacht zu Boden geworfen und dort wie Schwerverbrecher in den nassen Lehmboden gedrückt gehalten, selbst wenn es keinerlei Gegenwehr gab.

Eine Rollifahrerin wurde von drei Großraumwagen der Polizei verfolgt, obwohl sie sich nicht einmal auf „verbotenem Gelände“ aufgehalten hat, sondern auf öffentlichem Grund. Diese völlige Willkür war zutiefst verstörend.

Die Großdemo am Samstag schreibt sicher ihr eigenes Kapitel – aber es hat uns einfach unsagbar schockiert, was die Medien und die Presse für ein einheitliches und dabei undifferenziertes Bild verbreitet haben.

In keinem Artikel oder Beitrag wurde von den zehntausenden berichtet, die friedlich und Kälte, Regen und Sturm zum Trotz für unser aller Zukunft einstanden.

Es wurde ein Bild gezeichnet, in dem wir alle kriminelle Radikale sind, gewaltbereit und ein unaufhaltsamer Mob, der nicht zu bremsen war.

Diesen Teil gab es ganz sicher, aber gerechnet auf die große Masse waren es eben doch nur ein paar Wenige.

Fakt ist, dass die meisten von uns an keiner Stelle davor gewarnt wurden, dass es gefährlich ist an die Abbruchkante zu gehen. Es gab vor Ort keinerlei Polizei die gewarnt hätte, weder die Familien mit Kindern, noch die bunt zusammen gewürfelten Gruppen Menschen oder die später ankommenden Atkivisti.

Fakt ist auch, dass die Meisten einfach nur entsetzt und fassungslos vor dieser gigantischen Grube standen, die wohl das eindrücklichste Symbol für Deutschlands Versagen in der Klimapolitik bleiben wird.

Fakt ist auch, dass die Meisten danach direkt wieder versucht haben, wohlbehalten aus dem Schlamm zurück auf befestigte Wege zu kommen und dort friedlich ihrer Wege zogen.

Fakt ist ebenso, dass auch die Polizeikräfte, die wir wenige hundert Meter vor Lützerath trafen, keinerlei Warnungen ausgesprochen haben, obwohl auch an dieser Stelle hunderte Menschen Richtung Abbruchkante liefen. Sie waren lediglich darum bemüht, die dort geparkten Einsatzfahrzeuge zu beschützen.

Alle die zu dieser Zeit hier waren, haben geglaubt, dass das Gelände für diesen Tag frei gegeben war, damit sich die Menschenmengen besser verteilen können.

Wären Polizei und RWE wirklich so besorgt um die Demonstrantinnen und Demonstranten gewesen, hätte man sicher Mittel und Wege gehabt dieses Gebiet besser und umfassend zu schützen und über die Notwendigkeit aufgeklärt.

So bleibt der üble Beigeschmack, dass eine Katastrophe wissentlich in Kauf genommen wurde und eine Berichterstattung, die mal wieder alle Klimaschützer über einen Kamm schert und stigmatisiert.

Nun ist es an uns, den Menschen die nicht in Lützi dabei waren, unsere Erlebnisse zu erzählen und möglichst vielen Menschen zu sagen, dass wir alle weder kriminell noch radikal sind, sondern ausschließlich in größter Sorge um unseren Planeten, der unser aller Lebensgrundlage ist und dem, was wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen werden.

Und deshalb rufen wir alle immer und immer wieder:

LÜTZI BLEIBT!!!

Auch wenn das Dorf gefallen ist, die Kohle muss im Boden bleiben!

Dieser Beitrag ist ein persönlicher Erlebnisbericht von Karin K. und Kristina D. und spiegelt ausschließlich deren Erlebnisse und Meinungen wieder.

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2 Gedanken zu „Lützerath – Ein Erlebnisbericht

  1. Reinhard Antworten

    Ein ergreifender Bericht, der dem entspricht, was ich von anderen Anwesenden gehört habe. Die Polizeikräfte hätten besser die Demonstrierenden beschützt anstatt sie zu bekämpfen. Insbesondere bei der Großdemo, bei der viel mehr Teilnehmende als erwartet kamen.
    Jetzt ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Kohle im Boden bleibt. Gebraucht wird sie nicht. Hier gut erklärt: https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_DRW_d19f1b96

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